Das 35. Filmfestival 2021
Ein Hauch von Hollywood in der Löwenstadt: Die "Europa" wurde in diesem Jahr dem Stargast Sebastian Koch für seine schauspielerischen Leistungen verliehen. Der Schauspieler bereicherte das Festivalprogramm, neben einer Retrospektive seiner besten Werke, auch mit zwei weiteren Sonderveranstaltungen. Den mit 20.000 Euro dotierten Preis stiftete der Hauptsponsor des Festivals Volkswagen Financial Services.
Sebastian Koch und die" Europa"
„Es ist mir eine wirklich große Freude und Ehre heute Abend hier in Braunschweig einen Mann für Sie auszeichnen zu dürfen, den ich die große Ehre habe seit vielen Jahren zu kennen UND - meinen Freund nennen zu dürfen." begann Till Brönner seine Laudatio für den Europa-Preisträger Sebastian Koch "Und gerade WEIL wir uns lange kennen, weiß ich, dass er den heutigen Preis für das sogenannte “Lebenswerk” nur und mindestens mit einem KLEINEN Zögern annimmt, weil er noch viel vor hat - und genau das wünsche ich uns auch allen - hier im Saal und in der Welt da draussen." fuhr er fort.
Sebastian Koch gehört zu der Kategorie der Weltstars „AUS Deutschland“ und ein Blick auf sein geradezu überwältigendes Werk und bisheriges Schaffen an der Seite der Größten des internationalen Filmgeschäfts ringt mir ganz persönlich immer wieder auf’s Neue allergrößten Respekt für einen veritablen Meister seines Faches ab!
Die besten europäischen Filme
Das Braunschweiger Publikum entschied sich in diesem Jahr für 25 YEARS OF INNOCENCE. Somit ging der Publikumspreis „Der Heinrich“ für europäische Debüt- und Zweitfilme an Regisseur Jan Holoubek. Das Drama basiert auf der wahren Geschichte des Tomasz Komenda, der unschuldig zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde.
Den Volkwagen Financial Services Preis für den besten europäischen Film vergab die Jury an THE THIRD WAR von Regisseur Giovanni Aloi. Die Jury, die in diesem Jahr aus Uwe Tschischak (Leitung Unternehmenskommunikation, VWFS), Ewa Szabłowska (Kunsthistorikerin und Kuratorin für Bewegtbild) und Daniel Kothenschulte (Ressort Film im Feuilleton der „Frankfurter Rundschau“) bestand, verkündete: "Ein Kriegsfilm ohne Krieg als Metapher für die Angst als Mittel der Politik: Die Überpräsenz des Militärs in den Straßen französischer Hauptstädte als Antwort auf den islamistischen Terrorismus inspirierte diesen jungen italienischen Meisterregisseur zum originellsten Film dieses Wettbewerbs. Eingefasst in die Geschichte eines jungen, nach Orientierung suchenden Soldaten und weiblichen Offizierin entsteht ein allgemeingültiger Exkurs über Männlichkeitsbilder und Machtstrukturen. Fast abstrakt choreographierte Straßenszenen halten den Film in einem hyperrealistischen Flow. Der Volkswagen Financial Services Filmpreis geht an Giovanni Aloi für seinen meisterhaften Film THE THIRD WAR."
Beide Preise unterstützt Volkswagen Financial Services mit je 10.000 Euro.
Zwei Preise für Giovanni Aloi
Gleich zwei Preise für Regisseur Giovanni Aloi: Neben dem "Volkswagen Financial Services Award" konnte THE THIRD WAR auch die KINEMA Jury überzeugen!
"Der Film erzählt vom Alltag eines 18-jährigen Soldaten und den Mitgliedern seiner Einsatztruppe. Der aus der Arbeiterklasse stammende junge Mann versucht, sich in die Gesellschaft zu integrieren und einen positiven Einfluss auf die Welt auszuüben. Er sieht sich mit der harten Realität des Militäralltags und der ständigen Anspannung konfrontiert, die seine Psyche auf die Probe stellt. Das geschickt geschriebene Drehbuch zieht das Publikum bis zum Ende in seinen Bann. Die graue Farbgebung, viele Nahaufnahmen, fließende Kamerabewegungen und das intensive Sounddesign ermöglichen, die Gefühlslage der Soldaten hautnah mitzuerleben. Beeindruckt hat uns außerdem das authentische Schauspiel, besonders die präzise Mimik und Gestik.Giovanni Aloi zeigt die Sichtweise der Soldaten, die für uns neu war und die es uns ermöglichte, die Schwierigkeiten dieses Berufs besser zu verstehen und unsere Augen für diesen unsichtbaren Krieg zu öffnen." lautete die Begründung der KINEMA Jury, die sich neben Juryvorsitz Gordian Maugg, aus sechs Schüler*innen aus Frankreich und Deutschland zusammensetzt.
Queerer Filmpreis Niedersachsen für GIRLSBOYMIX
Die Jury des mit 5.000 Euro dotierten Queeren Filmpreises Niedersachsen entschied sich in diesem Jahr für den niederländischen Kurzfilm GIRLSBOYMIX von Regisseurin Lara Aerts.
"Wenn man gleichzeitig ein Junge und ein Mädchen ist, ist man im Grunde nichts". Wen Long ist nicht daran interessiert eine Entscheidung zu treffen, sondern will einfach nur Wen Long sein. Dieser aufschlussreiche, spielerische Dokumentarfilm zeigt, wie absurd die auferlegte binäre Geschlechtertrennung wirklich ist. Kleidung, Spielzeug, Toiletten - alles ist streng getrennt. Die gesellschaftliche Tabuisierung von Intersexualität führt zu Problemen. Ein typisches Beispiel ist die Tatsache, dass Wen Longs Lehrer*in das Thema für Kinder für ungeeignet hält, obwohl es sich um ein völlig natürliches Phänomen handelt, das auch im Tierreich vorkommt. Warum also ist es beim Menschen seltsam?
Braunschweiger Filmpreis geht an Sara Fazilat
Der Braunschweiger Filmpreis geht in diesem Jahr an Sara Fazilat für ihre Rolle in NICO. Die Jury, die aus Klaus Buhlmann, Jasmin Tabatabai und Tucké Royale bestand, richtete folgende Worte an die Preisträgerin:
„Mit einer uns in den Bann ziehenden Kraft und mit deiner Präsenz überzeugst Du, Sara, uns in jeder Phase des oft dokumentarisch anmutenden Dramas in der Darstellung der Nico. Wahrhaftig zeigst du die Titelfigur in allen emotionalen Facetten: Angefangen von einer unbeschwerten Fröhlichkeit, liebevoller Fürsorglichkeit, später im Schmerz, drängender Ratlosigkeit und einer großzügig einsehbaren Verwundbarkeit, in ihrem unbändigen Gerechtigkeitszorn. Die unbedingte Entschlossenheit mit der du im Kampfsporttraining deine Figur Nico verteidigst, ja mit ihr verschmilzt, hat uns überwältigt und von deinem vollen emotionalen und körperlichen Einsatz für die Rolle überzeugt. Wir erhoffen uns noch viele Filme mit dir und dir auf deinem spannenden Weg nur das Beste."
Eine lobende Erwähnung vergab die Jury an Dora Zygouri für ihre Rolle in DIE SAAT: „Neben einem versiert aufspielenden Hanno Koffler überzeugt Dora Zygouri mit außergewöhnlicher Präsenz und Ernsthaftigkeit. Das liegt vor allem an der Ambivalenz und Leuchtkraft, mit der sie die Doreen darstellt, sie mit einer emotionalen Dichte aus Zurückhaltung und Optimismus, aus Neugier und Haltlosigkeit so ausstattet, dass man ihr fasziniert zusieht. Es sind vor allem die leisen Töne, die kleinen fürsorglichen Gesten, das Suchende, die ihr Spiel so berückend machen, mit dem sie uns noch lange in Erinnerung bleibt."
Der Green Horizons Award
Der “Green Horizons Award” für den besten Film zum Thema Nachhaltigkeit ging in diesem Jahr JOURNEY TO UTOPIA. Besonders bewegend der Regisseur Erlend. E. Mo ist erst vor kurzem verstorben, seine Frau vertrat ihn bei der Preisverleihung mit einer rührenden Videobotschaft.
Die Jury, die aus Nadja Varsani, Holger Herlitschke und Hauke Wendler bestand, begründete ihre Wahl: „Der Film, den wir heute Abend auszeichnen möchten, bietet keine Antworten auf einzelne ökologisch drängende Probleme, wie es der Name des Preises – Green Horizons, Grüne Horizonte – vielleicht vermuten lässt. Stattdessen erleben wir - mitunter erschreckend ungeschönt - den Alltag einer Familie, die aus den beschaulichen, gutsituierten Bergen Norwegens aufbricht, um eine umweltgerechtere, nachhaltigere Zukunft in einer Lebensgemeinschaft auf dem dänischen Land zu finden. Aber es erweist sich als wesentlich einfacher die richtige Meinung zu haben, als sie auszuleben. Erlend E. Mo, der Filmemacher und Vater porträtiert mit unglaublicher Nähe und Empathie seine Familie in der Idealismus und Realität, individuelle Freiheit und Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft aufeinanderprallen. Es entsteht ein feinfühliger und gleichzeitig mutiger Film, der den Blick in vielen Momenten auf das Unausgesprochene und das nicht so leicht zu Erkennende richtet und uns so immer wieder in alltägliche Situationen mitnimmt, an die wir anknüpfen können. Wir haben in der Jury lange und kontrovers über diesen Film diskutiert: Weil da so viele, teils auch ökologisch fragwürdige Entscheidungen getroffen werden. Und weil er keine eindeutige Antwort auf die Frage bietet, wie und wo wir diese umweltgerechtere, nachhaltigere Zukunft denn nun finden können. Aus unserer Sicht macht das den Dokumentarfilm JOURNEY TO UTOPIA zu einem ganz besonderen: Einem Film, der die Kraft hat eine Diskussion beim Publikum anzustoßen und über diese Familie zu sprechen, die meint verstanden zu haben, dass wir handeln müssen – wir alle –, dass wir uns von Altbekanntem trennen und neue Wege suchen müssen."
Heimspiel Preis geht an DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN
Der Heimspiel Preis wurde dieses Jahr an die Regisseurin Katharina Marie Schubert verliehen.
Sabina Kaluza, Antimo Sorgente und Prof. Jutta Tränkle begründeten die Wahl folgend: „Der Film führt uns in die nahe Vergangenheit ohne uns in Nostalgie zu verführen. Ort des Geschehens; ein kleines Provinzstädtchen im Osten des Landes im Jahr 1999, eine Zeit der Umbrüche, die die einen mehr, die anderen weniger gut überstanden haben. Der Regisseurin ist es gelungen mit einem ausgezeichneten Cast den Kampf um Identität, Verlust und Veränderung über zwei Generationen in der Nachwende zu erzählen. Ihre Geschichte ist so poetisch wie der Titel. Dieses stille Drama in entsättigten Bildern zur Jahrtausendwende in der ehemaligen DDR überzeugt auch durch die klare schnörkellose Bildgestaltung, die dem Film seine Stimmung verleiht. Die Intensität mit der die Regisseurin ihre starken Protagonistinnen ihre Entscheidungen treffen lässt, mit allen Konsequenzen jedoch ohne jedes Rätsel zu lösen, verdient nach Auffassung der Jury den "Heimspiel-Preis" 2021."
Fokus Frauenpower: Die TILDA ging an...
Die diesjährige TILDA geht an HIVE von Regiseurin Blerta Basholli!
Die TILDA-Jury, Sabine Brombach, Heike Klippel, Jakobine Motz und Anna Wollner: „Sieben Jahre nach Kriegsende im Kosovo sind es vor allem die Witwen, die die soziale Last der Verluste tragen. Fahrije hat wie viele andere Frauen ihren Mann während des Massakers von Krusha e Madhe verloren. Viele dieser Leichname wurde nie gefunden. Um einander bei der Suche nach den Vermissten und der Trauerarbeit zu unterstützen, haben die Frauen einen Verein gegründet. Auf der Suche nach einem Weg aus der Armut beginnen sie mit der gewerblichen Herstellung von Ajvar. Damit setzen sie sich gegen die Widerstände der traditionellen patriarchalen Umgebung durch. Die hohe Sozialkontrolle verurteilt bereits das Autofahren. Einfühlsam und intensiv begleitet der Film Fahrije und mit ihr die Frauen um sie herum auf ihrem Weg in eine wachsende Eigenständigkeit. Diese Geschichte basiert auf tatsächlichen Ereignissen in Folge des Massakers von Krusha e Madhe, bei dem über 200 Personen getötet und drei Viertel der Häuser niedergebrannt wurden. Der Film ruft dies in Erinnerung, zeigt aber, was sich durch die Nachrichten nicht vermittelt: Nach Jahren des Wartens und Suchens nach den Vermissten müssen die Frauen Wege finden, mit dem Unabänderlichen umzugehen. Dies geschieht undramatisch, zwischen Schmerz, Resignation, Realismus, auch Humor, so dass das Politische über das Persönliche erfahrbar wird. Mit diesem Langfilmdebüt legt die Kosovarin Blerta Basholli eine reife Arbeit vor."