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Das 28. Filmfestival 2014

Mads Mikkelsen begeistert Braunschweig

„Das ist eine fantastische Ehre! Ich werde diesen Preis mit allen Regisseuren teilen, die mich auf meinem Weg begleitet haben“, versprach Mads Mikkelsen, als er die „Europa“ des 28. Internationalen Filmfestivals Braunschweig entgegennahm. Das Festival ehrte den Dänen für seine herausragenden schauspielerischen Leistungen mit dem mit 10.000 Euro dotierten Preis.

Zuvor hatte Mikklesen, der direkt vom Set für die dritte Staffel der US-Fernsehserie „Hannibal“ aus Toronto angereist war, dem Journalisten Daniel Kothenschulte vor ausverkauftem Saal Rede und Antwort gestanden. Mikkelsen hatte sichtlich Spaß an den Filmausschnitten, darunter auch die Kussszene aus Simon Stahos Film „Nu“ und die Folterszene aus „James Bond 007: Casino Royale“. „Mikael Persbrandt und ich standen ja sonst eher für Testosteron-Charaktere, daher erregte die Kussszene so viel Aufmerksamkeit“, erklärte Mikkelsen. Daniel Craig sei nach dem Dreh der Bond-Foltersequenz so heiser gewesen, dass er am folgenden Tag keine Stimme mehr gehabt habe und nicht habe drehen können.

Über 10.000 Euro konnte sich auch der französische Regisseur Jean Denizot freuen. Er gewann den Publikumswettbewerb für europäische Debüt- und Zweitfilme mit „The Good Life“ (Weltvertrieb: Match Factory). In einer Videobotschaft  bedankte sich Denizot beim Braunschweiger Publikum und versprach seinen nächsten Film persönlich auf dem Festival vorzustellen.

Die junge Jury des deutsch-französischen Jugendpreises KINEMA entschied sich für Regisseur Burhan Qurbanis „Wir sind jung. Wir sind stark.“ (Verleih: Zorro Film). Qurbani berichtete, dass sein Team fünf 5 Jahre an dem Film gearbeitet habe: „Und es gab einen Satz, der uns immer wieder begleitet hat: Die alte Welt liegt in Scherben, und die neue ist noch nicht geboren und jetzt ist die Zeit für Monster. Und das monströse, das sind für uns Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Intoleranz. Und das sind Themen, die leider, leider nie aus der Mode kommen, deshalb bin ich froh, dass dieser Film hier gezeigt werden konnte und hier ausgezeichnet worden ist“.

Die Jury des Kurzfilm-Musikpreises „Leo“ zeichnete die finnische Produktion „Emergency Calls“ der Regisseure Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen und Sounddesigner Joonatan Portaankorva aus. Die drei bedankten sich per SMS: „Wir drei arbeiten seit Jahren zusammen. Sound und Musik waren von Beginn der Produktion an ein wichtiger Teil. Wir freuen uns, dass das Festival dem Zusammenspiel von Sounddesign und Film so große Aufmerksamkeit widmet. Danke, dass Ihr unseren Film gezeigt habt, ein großes Dankeschön an die Jury!“.

Die Experten-Jury mit Journalist Andreas Wirwalski, Medienkünstler Jan Verbeek und Cinema Musica Redakteur David Serong lobte die „außergewöhnliche Komposition von medialen Ausschnitten unserer Wirklichkeit und einer ins Metaphysische verweisenden Postproduktion. Eine Arbeit wie aus einem Guss, in der konsequent der erzählerische rote Faden durchgehalten wird“. Darüber hinaus sprach die Jury eine lobende Erwähnung für „Off Ground“ von Boudewijn Koole (Regie), Alex Simu (Musik) und Mark Glynne (Sound) aus den Niederlanden aus. „Für ihr bewegendes Meisterwerk, das auf höchstem künstlerischem Niveau durch die Mischung von Tanz, Musik und Geräuschen die Gesetze der Physik aufhebt. Somit beweisen die Filmemacher, dass auch eine ästhetisch ambitionierte Produktion ohne Pathos ein breites Publikum ansprechen kann“.

An sechs Tagen zeigte das Festival über 300 Kurz- und Langfilmen mit 25 Welt-, Europa- und Deutschlandpremieren. In der Reihe „Neue deutsche Filme“ stellte Regisseur Kadir Sözen und sein Team „Von glücklichen Schafen“ als Welturaufführung vor (Verleih: Filmfabrik). Weitere Gäste waren die Regisseure Rudi Gaul mit „Das Hotelzimmer“, Florian Gottschick mit „Nachthelle“ sowie Schauspielerin Birte Schöink, die in Jessica Hausners „Amour fou“ die Freundin Heinrich von Kleists, Henriette Vogel, spielt. Kamerafrau Sophie Maintigneux berichtete von den Dreharbeiten zu Ingo Haebs „Das Zimmermädchen“. Special Guests waren Regisseur Felix Maxim Eller und Produzent Karsten Jaskiewics, die ihre no-budget Produktion „Young and Wild“ auf der Leinwand und im Werkstattgespräch vorstellten.

Im „Neuen Internationalen Kino“ feierten gleich zwei Produktionen ihre Europa-Premiere:  Aus China angereist war Regisseur Wong Fei Pang mit seiner Hong Kong-Großstadtgeschichte „An Odd Fish“ und aus Indien kam Agneya Singh mit seinem Roadmovie „M Cream“. Deutsche Premieren feierten außerdem Andrew Huculiak mit der kanadisch-norwegischen Produktion „Violent“ (Verleih: Media Darling) und Joseph Incardona mit „Milky Way“, einer Schweizerisch-belgischen Koproduktion. Weitere deutsche Erstaufführungen waren René Sampaios „Brazilian Western“ und Menno Meyjes „The Dinner “ aus den Niederlanden.

Im Rahmen des filmkulturellen Austausches mit niedersächsischen Partnerregion Haute-Normandie stellte Regisseurin Anne Villacèque „Week-ends“ vor.

Um Mauern aus Beton und Stahl aber auch Mauern in den Köpfen ging es im Programm „Behind the Wall“. Sechs Filme aus den Jahren 1977 bis heute führten von Nordirland („Shadow Dancer“ von James Marsh) über Palästina („Omar“ von Hany Abu-Assad) bis Südkorea („JSA“ von Chan-Wook Park) an Grenzen, die Menschen immer noch voneinander trennen.

Furcht und Schrecken verbreiteten Jörg Buttgereit, Andreas Marschall und Michal Kosakowski mit ihrer fünfteiligen Horror-Retrospektive und dem Werkstattgespräch zu ihrem Episodenfilm „German Angst“.

Zur Eröffnung zeigt das Festival die Deutschlandpremiere des Filmkonzerts „Alice im Wunderland – Disney in Concert“ mit dem Staatsorchester Braunschweig unter der Leitung von Helmut Imig vor 1.400 Zuschauern.

Dem französischen Komponisten Jean-Michel Bernard war die Retrospektive der Reihe „Musik und Film“ gewidmet. Im Filmmusikgespräch „Talking Piano“ unterhielt er sich mit Cinema Musica Redakteur David Serong über seine Arbeitsweise, Michel Gondry und spielte am Flügel einige Beispiele aus seinem Repertoire.

Komponist Michael Riessler und Akkordeonist Jean-Louis Matinier spielten ein von Edgar Reitz‘ „Die andere Heimat“-Zyklus inspiriertes Konzert. Matthias Hornschuh moderierte das Konzert, das ganz im Zeichen des Jazz und der Neuen Musik stand.

Neu in der Reihe „Musik und Film“ war die erste Ausgabe „Sound on Screen Festival Edition“. Damit fand die seit Jahren erfolgreiche Musikfilmreihe des Universum Kinos Eingang ins Festivalprogramm. Das Programm mit fünf Deutschland-Premieren, bestand aus fünf „Spotlights“, aktuellen Dokumentationen, und fünf Filmen unter dem Titel „Music is my weapon“, die die politische Dimension von Musik herausstellten. Highlight der Reihe war die Deutschland-Premiere von „Pulp – A Film about Life, Death and Supermarkets“, den Regisseur Florian Habicht vorstellte.

Erstmals waren die Kurzfilme in eigene Programme zusammengefasst und an eigenen Orten gezeigt worden. Im Roten und Blauen Saal im Braunschweiger Schloss liefen acht Programme sowie die Vorträge von Aki Nakazawa zu „Musikvideo aus Japan – Surrealität im Alltag“ und Johannes Dunkers Lecture „New Aethetics“ über Filme, die erst mit den Werkzeugen des digitalen Filmemachens möglich geworden sind. Außerdem zeigte das Filmfestival in Kooperation mit dem Planetarium die „WOBBS360 Fulldome-Rolle“ und zwei weitere Kurzfilmprogramme.

In der Reihe BRAUNSCHWEIG HEIMSPIEL zeigte das Filmfest, wie vielseitig das Filmschaffen in der Region sein kann: Mit dabei waren die jüngsten Talente von der Braunschweiger Filmklappe, die Gewinner des Selbstfilmfestivals durchgedreht24, die Studierenden des Fachbereichs Mediendesign der Ostfalia, die packende Radsport-Doku AWAY von Frank Hermes und Sebastian Schollmeyer, Sabine Kaluzas sehr persönlicher Dokumentarfilm DER 1. TAG über polnische Auswanderer und deren Start in Deutschland, und die filmische Hommage an die Duesenberg-Gitarre von Steffen König und Olaf Neumann LOVE SUPREME.

Gemeinsam mit Creative Europe Desk Hamburg lud das Festival zum Industry Talk „Digital Distribution“ ein. Philipp Hoffmann (Rushlake Media) moderierte den Talk mit den Referenten Ulrich Müller-Uri (Flimmit), Andreas Wildfang (EyzMedia), Barbara Bauer (Prokino), Christiane Herzog (HFF München), Christian Morawietz (MakeMusic.TV) und Tobias Meyerding (Studio Hamburg Distribution & Marketing).

Festivaldirektor Michael P. Aust, der das Festival in diesem Jahr zum ersten Mal leitete, zog eine positive Bilanz: „Ich bin sehr glücklich über das viele positive Feedback, das ich für die Filmauswahl meines Erstlings bekommen habe. Dank eines hervorragenden Teams ist es auch organisatorisch rund gelaufen. Der Auftritt der All-Star Lola-Band mit Helmut Zerlett, Ali N. Askin, Michael Beckmann, Jochen Schmid-Hambrock und Christoph Zirngibl bei der Preisverleihung war ein großartiges Geschenk – und Mads Mikkelsen der tollste und publikumsfreundlichste Star, den man sich nur wünschen kann“.

Die Laudatio von Daniel Kothenschulte

Wie jede andere Kunstform ist die Schauspielerei eine Mischung aus Talent und aus Erlerntem. Über letzteres kann man lange diskutieren, kann über Schulen und Methoden reden, über Stanislawski oder das Actor’s Studio. Das Talent aber ist die große Unbekannte, etwas, das den Schauspielern selber oft nicht ganz geheuer ist. Denn ein großer Teil ihres Genies ist Intuition: Ginge man ihr auf den Grund, könnte man sie leicht verscheuchen.

Dann aber ist da aber noch ein drittes Element, etwas, das Malern, Dichtern oder Regisseuren ziemlich gleichgültig sein kann. Das ist die Ausstrahlung des Körpers, und wie er auf der Leinwand wirkt.

Mads Mikkelsen gehört zu den talentiertesten und feinsinnigsten Schauspielern unserer Zeit, aber es ist sein ungeheuerliches Spiel mit dem Körper und der eigenen Ausstrahlung, das ihn zu einem Weltstar gemacht hat. Es gibt nur einen Mads Mikkelsen, so wie es nur einen Burt Lancaster, einen Kirk Douglas, einen Dennis Hopper und einen Max von Sydow gegeben hat. Und ja, dass ich jetzt gerade diese Namen nenne, zeigt schon, welche Bandbreite er in seinen Rollen bereits abgesteckt hat. Sie umfasst das Action- wie das Kunstkino gleichermaßen, was vielleicht damit zu tun hat, dass zu Mikkelsens Entdeckern ein Regisseur zählte, der in seinen Filmen beides in einem denkt, das Genre und die Kunst: Nicolas Winding Refn. Früh besetzte er Mikkelsen als drogensüchtigen Kleinkriminellen in den beiden „Pusher“-Filmen, einer Figur, die gleichermaßen roh wirkt wie empfindsam.

Wer seine Karriere mit einer derart anspruchsvollen Herausforderung beginnt, wird sich danach kaum mit Mittelmaß zufrieden geben. Dass ihn bald darauf ganz Dänemark kannte als Star der Krimiserie „Unit One“, konnte ihn da kaum noch befriedigen. „Beim Fernsehen musste alles glattgebügelt werden“, erinnerte er sich später in einem Interview, „weil der Sender keine potenziellen Zuschauer verschrecken wollte. Ich hätte jedes Mal kotzen können, wenn die TV-Regisseure zu mir sagten: ‚Ja, stimmt, du sollst in dieser Szene wütend sein. Aber bitte nicht gar so wütend!’ Oder: ‚Ja, blute, aber bloß nicht zu stark!’“

Wer von einem Schauspieler weniger verlangt, als in ihm steckt – der gerät bei Mads Mikkelsen an den Falschen.

Glücklicherweise ist das Fernsehen heute anders, zumindest in den USA. Mit seiner aktuellen Hauptrolle in der Kultserie „Hannibal“ steht Mads Mikkelsen für jenen qualitativen Quantensprung, den das amerikanische Serienfernsehen in den letzten Jahren unternommen hat. Oder, wie er es selbst ausdrückt: „Da haben die Verantwortlichen in den Fernsehsendern sogar oft mehr Eier als die Hollywood-Bosse. Bei „Hannibal“ wird jedenfalls nichts geglättet – wir dürfen es richtig krachen lassen.“

Schon immer erkannte man die wirklich großen Filmschauspieler daran, dass sie die verschiedenartigsten Rollen ausfüllen konnten, aber nicht in denen sie darin zur Unkenntlichkeit verschwanden. Sondern, in dem sie eine jeweils andere Facette ihrer eigenen Persönlichkeit darin zum Strahlen brachten. Wie kann uns der einäugige Recke aus Nicolas Refns grandiosem Mischling aus Action- und Kunstfilm, „Valhalla Rising“ plötzlich als Anzugträger „Hannibal“ wieder begegnen und eine solche Feinsinnigkeit ausstrahlen? Und doch zugleich so abgründig wirken?

Mads Mikkelsen macht seine Filmrollen so faszinierend, weil er ein Mann ist, dem man alles zutraut. Weil er sich auch im Leben soviel zutraut. Die Kraft seiner Filmrollen entsteht aus der Neugier eines Stars, dem wir ansehen, wie gern er sich selbst dabei erneuert. Daraus entsteht eine Spannung, die uns bewusster auf seine Charaktere blicken lässt, als wir es vielleicht gewohnt sind. Besonders eindrücklich ist das zu erleben in Thomas Vinterbergs Drama „The Hunt“ mit Mikkelsen als Erzieher, der in Verdacht gerät, ein Kind missbraucht zu haben.

Ganz gleich in welcher Rolle wir ihn erleben, als sadistischem Bond-Schurken mit Pokerface in „Casino Royale“ oder als empfindsamem Komponisten des Ballets „Le Sacre du Printemp“ in „Coco Chanel und Igor Stravinsky“: Stets macht uns Mikkelsen dabei auch das Wunder des Kinos bewusst, uns fasziniert auf das Spiel mit dem Körper blicken zu lassen.

Gelernt hat er seine ungeheure Körperbeherrschung im modernen Tanztheater. 

„Ich kenne meinen Körper sehr gut und kann ihn mühelos kontrollieren“, sagt Mikkelsen. „Ich überlege mir bei jeder Filmfigur genau, wie sie sich bewegt: langsam und schwerfällig? Oder hektisch und ungeduldig? Meine Tänzererfahrung ermöglicht es mir zudem, meine Stunts selbst zu machen, worauf ich sehr stolz bin.“

Und da ist sie wieder diese wunderbare Gleichsetzung von Kunst und Action. Der Tänzer als Stuntman. Wo ist der Unterschied? Als Kind der Arbeiterklasse hat Mikkelsen, wie er sagt „nicht schon mit acht Jahren französisches Kunstkino gesehen“. Dafür aber Bruce Lee, Charles Bronson und Burt Lancaster als „roten Korsar“. „Damals hatte ich noch überhaupt keine darstellerischen Ambitionen – ich wollte einfach genauso ein cooler Pirat sein, ein Ritter, ein Schwertkämpfer“, sagt er. „Und jetzt, auf meine alten Tage, kann ich diese Kindheitsträume tatsächlich verwirklichen.“

Nun, bis zu seinen alten Tagen hat er wohl noch etwas Zeit. Und wird dabei nicht aufhören uns zu faszinieren als einer der großartigsten Filmschauspieler aller Kinozeiten. Wer könnte die Europa, den Hauptpreis dieses Festivals mehr verdienen? Von Herzen gratulieren wir Mads Mikkelsen.