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Udo Kier: „I’m a lucky man“

Ein Rekordpreisgeld vergab das 38. Braunschweig International Film Festival am Samstagabend im Staatstheater Braunschweig

Die EUROPA geht an die Hollywood-Größe Udo Kier, der Volkswagen Financial Services Filmpreis an die irische Regisseurin Claire Dix für ihren ersten Spielfilm SUNLIGHT – Der HEINRICH an den französischen Regisseur Antoine Chevrollier für seinen Debütfilm BLOCK PASS.

 

Vor wenigen Wochen feierte er seinen 80. Geburtstag, nun konnte der gebürtige Kölner in Braunschweig Die EUROPA als Auszeichnung für seine langjährigen herausragenden darstellerischen Leistungen und Verdienste um die Filmkultur entgegennehmen. „I’m a lucky man“, strahlte Kier in die Kamera, als er den mit 25.000 Euro dotierten Preis entgegennahm. Seit den 1960er Jahren wirkte er an mehr als 280 Film- und Fernsehproduktionen mit, drehte mit Größen wie Andy Warhol, Lars von Trier, Rainer Werner Fassbinder, Paul Morrissey, Werner Herzog, Christoph Schlingensief und Gus van Sant. Kier, der in den 90ern einen Lehrauftrag an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig hatte, blickt auch mit viel Demut zurück: „Es hat auch viel mit Glück zu tun. Daher sollte man nie vergessen, wo man herkommt.“ Anthony Bandmann, Vorstandsmitglied von Hauptsponsor Volkswagen Financial Services, übergab Die EUROPA: „Wir sind stolz, als Sponsor sowie als Stadt Braunschweig, jemanden wie Udo Kier aus Hollywood nach Braunschweig zu holen.“ Die Laudatio für Kier hielt Jobst Knigge, der kürzlich die sehenswerte und sehr persönliche Dokumentation „Der wunderbare Udo Kier“ für ARTE produzierte.

 

Der mit 10.000 Euro dotierte Volkswagen Financial Services Filmpreis ging an Claire Dix für das Werk SUNLIGHT. In ihrem Regiedebüt erzählt Claire Dix die Geschichte von Leon, einem cleanen Junkie und Daydreamer, sowie seinem todkranken Freund Iver. Am Tag von Ivers geplantem assistierten Selbstmord stellt Leon dessen Entscheidung infrage und nimmt ihn mit auf eine liebevolle Reise durch gemeinsame Erinnerungen und vertraute Orte in Dublin. Diese emotionale Pilgerreise wird zu einer zärtlichen Auseinandersetzung über den Wert des Lebens und die Entscheidungen, die wir am Ende unseres Weges treffen. Jurymitglied Reik Möller dazu: „Claire Dix’ Regiearbeit zeigt eine Feinfühligkeit, die die tiefe Verbundenheit ihrer Figuren authentisch zum Ausdruck bringt. Während Leon den festen Entschluss seines Freundes mit Widerstand und Mitgefühl herausfordert, balanciert der Film geschickt die Schwere des Themas mit leichten Momenten aus und zieht das Publikum in seinen Bann. Die differenzierten Darstellungen von Barry Ward und Liam Carney als Leon und Iver, vereinen einen besonderen Humor und eine tiefe Verletzlichkeit. Maureen Beatties Rolle als Maria, die Iver in seiner Entscheidung unterstützt, verleiht dem Film eine weitere Dimension und verkörpert einen menschlichen Zugang zu einem emotional aufgeladenen Thema.“ Schauspieler Liam Carney, der den Preis für SUNLIGHT entgegennahm, fügte hinzu: „This film is very important for us – it was made with love.“

 

Eine lobende Erwähnung galt Regisseur Piotr Biedron für THE LAST SPARK OF HOPE. „Die Jury hat beeindruckt, dass dem Regisseur Piotr Biedron ein Debütfilm gelungen ist, der mit minimalistischem Budget, an nur einem Drehort, mit einer einzigen – großartigen – Schauspielerin und mit einem rein aus Schrott bestehenden Set, ökologisch und nachhaltig, gedreht wurde“, hieß es in der Erläuterung.

 

Heimspiel: Eine Auszeichnung für Mut und Entschlossenheit

Der ebenfalls mit 10.000 Euro dotierte Publikumspreis Der HEINRICH wurde an an den französischen Regisseur Antoine Chevrollier für seinen Debütfilm BLOCK PASS verliehen: Ein Film über tiefe Freundschaft, Trauer, Wut und Homophobie im Umfeld des männlich dominierten Motocrosssports sowie die Suche nach dem eigenen Weg. Chevrollier, der selbst aus der im Film besprochen Kleinstadt an der Loire kommt, ist mit seinen begabten Hauptdarstellern ein starker Debütfilm gelungen, der dieses Jahr in Cannes lief und vom Jerusalem Film Festival als bestes internationales Debüt ausgezeichnet wurde. Nun folgte die Auszeichnung in der Löwenstadt. „This means a lot for me. We had an amazing crew – we did all this for the audience“, bedankte sich Chevrollier. Und Angela Kleinhans, Leitung Interne Kommunikation und Sponsoring bei Volkswagen Financial Services, hob bei der Preisübergabe indes hervor: „Filme werden für Menschen gemacht – und genau deshalb gehören sie auf die große Leinwand.“

 

„Mit diesem Preis ehren wir eine bedeutende Geschichte, und den Mut und die Entschlossenheit eines Teams, welches verstanden hat, was das Medium Film kann, und was es darf. Jetzt und in Zukunft.“ Mit diesen Worten bestärkte die Jury des Heimspiel-Preises ihr Statement für den diesjährigen Gewinner. Er ging in diesem Jahr an den gebürtigen Braunschweiger Produzenten Martin Rohé für VENA. „Wir sahen beeindruckende Bilder mit Blick fürs Detail, feinfühlige Regiearbeit, eine intensive Montage und eine präzise durchdachte Storyline, die Klischees bewusst verdrängte“, so Jurymitglied Vanessa Donelly. „Die Produktion war unglaublich schwierig und hatte viele Herausforderungen“, skizzierte Rohé am Abend.

 

Die TILDA für norwegisch-samische Regisseurin Sara Margrethe Oskal

 

Den mit 6.000 Euro dotierten Preis Die TILDA nahm die norwegisch-samische Autorin, Schauspielerin, Künstlerin und Regisseurin Sara Margrethe Oskal mit nach Hause. Oskals Langfilmdebüt war nicht nur einer der zehn Filme des Wettbewerbs, sondern auch ein Beitrag des diesjährigen Schwerpunkts „Sámi Cinema – Stories from the North“. Große Authentizität gewinnt der Film durch die biografischen Hintergründe der Beteiligten: Wie die Regisseurin sind auch beide Hauptdarsteller:innen Samen. Die preisgekrönte Performancekünstlerin und Dichterin Oskal hütete indes selbst zehn Jahre lang Rentiere. „Dieser Film wird aus einer indigenen, intersektionalen feministischen und Insider-Perspektive erzählt – und fasziniert durch sein kraftvolles, aber dennoch verletzliches Geschichtenerzählen und seinen meisterhaften Einsatz von bewegten Bildern, Ton und einem sensiblen Schnitt, der Raum für die Charaktere, ihre Subjektivität und die Landschaft lässt“, hieß es in der Jurybegründung. Oskal selbst war sichtlich ergriffen: „I am so glad that the cast wanted to work with me. And I am so nervous right now.“

 

Den Braunschweiger Filmpreis überreichte die Jury an Anja Plaschg für ihre Rolle in DES TEUFELS BAD. „Anja, du hast nicht nur eine Figur gespielt, sondern ein Stück menschlicher Erfahrung zum Leben erweckt. Deine Agnes hat uns inspiriert und dazu gebracht, eine Brücke zu schlagen, zur Stellung der Frau im 18. Jahrhundert und über Themen, wie gesellschaftliche Identität, Religion, Schmerz, Dunkelheit, Hoffnung, Vergebung und Licht im Hier und Jetzt nachzudenken“, schwärmte die Filmpreis-Jury. „Dieser Film war das intensivste Projekt in meinem bisherigen Berufsleben“, bestärkte Plaschg. 

 

Auch bei dem Braunschweiger Filmpreis betonte die Jury eine lobende Erwähnung: für Emma Nova für in VENA. „Vor dem Hintergrund ungeschönter sozial-realistischer Szenen verleiht Emma Nova der Rolle, der Jenny, eine außergewöhnliche Kraft und Glaubwürdigkeit. VENA erzählt sensibel und mit großer Zärtlichkeit für die Hauptfigur von der widersprüchlichen Gefühlswelt einer jungen Frau, die bereits Mutter ist, ohne mit dieser Verantwortung umgehen zu können und die in ihrem Charakter die Reife einer Erwachsenen und die Verletzlichkeit eines Kindes vereint. 

 

ECHT: Filme, fernab von einfachen Antworten

 

Der queere Filmpreis ECHT wurde an die brasilianische Filmregisseurin Carolina Markowicz für TOLL verliehen. Dazu die Begründung: „Ein leider noch – weltweit – aktuelles Thema, die Konversionstherapie, wird hier mutig, bildgewaltig und erstaunlich leicht erzählt. Die Regisseurin schafft es stilsicher, allen Figuren und Beziehungen eine Ambivalenz und Komplexität zu geben, die allzu leichtfertige Be- und Verurteilungen unmöglich machen und zwingt die Zuschauenden, sich auf einer tiefen Ebenen mit den Nöten, Zwängen und der Lebenswirklichkeit einer alleinerziehenden Mutter und ihres queeren Sohnes im prekären Milieu auseinander zu setzen. Ein Film, der fernab von Simplifikation und einfachen Antworten, tief berührt und lange nachklingt.“ Eine lobende Erwähnung galt unterdessen AVANT-DRAG! von Regisseur Fil Ieropoulos. „Das, was wir sehen, so hören wir auch im Film, ist das Ergebnis des Leids von Jahrhunderten. Und doch führt der Film jetzt zu der Erkenntnis, dass dieses Anderssein, die Einsamkeit und der Kampf uns tief vertraut sein kann“, so die Jury.

 

Der Deutsch-französischer Jugendpreis KINEMA wurde ETERNAL PLAYGROUND der Regisseure Pablo Cotten und Joseph Rozé zugesprochen. Die aus sechs deutschen und französischen Schüler:innen bestehende Jury um Sarah Bellenger, Juliana Golubev, Hannah Heinert, Jascha Hermann, Amélie Jaupitre und Salomé Mangeon war sichtlich begeistert: „Ab der Eröffnungsszene konnten wir uns mit den Charakteren identifizieren. Die Freundschaft wurde durch viele Konfrontationen und Lachanfälle in der Gruppe authentisch dargestellt. Die breite Auswahl an angewandten Kameraeinstellungen führten uns durch sämtliche Emotionen.“

 

Cineastische Plädoyers für persönliche Verantwortung und Hoffnung

 

Kann ein Film das Leben verändern? Anregen, Impulse stehen und ermutigen möchten die Filme, die in der Reihe Green Horizons zu sehen sind. Der damit verbundene, diesjährige Award wurde an Regisseur Blake McWilliam für SEND KELP! überreicht. „Der Film besticht durch kraftvolle Bilder, die die fragile Schönheit des Meeres einfangen, und beleuchtet zugleich das emotionale Innenleben einer jungen Generation: Aus ihrem ‚Eco-Grief‘, ihrem Klima-Kummer, schöpft Frances neue Kraft, um aktiv einen Unterschied zu machen. SEND KELP! ist ein kraftvolles Plädoyer für Umweltschutz, persönliche Verantwortung und Hoffnung in einer sich wandelnden, krisengeplagten Welt“, führte die Jury in der Erläuterung zur Auszeichnung aus. „We hope that the film changed your mind“, beschrieb es McWilliam  in der Danksagung auf den Punkt.

 

Über den Publikumspreis Die EDDA für den besten Kurzfilm durfte sich der iranisch-amerikanische Regisseur Liam LoPinto für THE OLD YOUNG CROW freuen. In dem Werk reflektiert Mehrdad, inzwischen ein alter Mann, seine Erfahrungen in Tokio, wo er sich mit einer alten Japanerin anfreundete. Er blättert sein altes Skizzenbuch durch, das sich durch eine Kombination aus Animation und Live-Action in Bewegung setzt. „Be able to be seen by so many people means a lot to me“, erklärte LoPinto in seiner Videobotschaft.

 

„Danke, dass Ihr die junge, aufstrebende Filmwelt unterstützt!“

 

Ein dickes Dankeschön formulierte Andrea Schwyzer vom NDR, Moderatorin des Abends, an den Trägerverein Internationales Filmfest Braunschweig sowie das hauptamtliche Festivalteam: „Euch gilt große Anerkennung dafür, dass Ihr mit dem Braunschweig International Film Festival die junge, aufstrebende Filmwelt unterstützt!“ 

 

Am heutigen Sonntag, den 17. November, finden die letzten Vorstellungen und Veranstaltungen des 38. Braunschweig International Film Festival statt. Vormerken: Das 39. Braunschweig International Film Festival (BIFF) findet 10. bis 16. November 2025 statt. Weitere Informationen zum BIFF gibt es auf www.filmfest-braunschweig.de sowie tagesaktuelle Hinweise auf den Social-Media-Kanälen des Festivals.