Das 30. Filmfestival 2016
Brendan begeistert Braunschweig
„Sprachlos“ sei er, sagte Brendan Gleeson, Stargast der Jubiläumsausgabe des Braunschweiger Filmfestivals bei Preisverleihung – nur um zu einer längeren Rede über das europäische Kino anzusetzen. Der irische Schauspieler erhielt den Hauptpreis, die mit 15.000 Euro dotierte „Europa“, für seine darstellerischen Leistungen und Verdienste um die europäische Filmkultur. Er betrachte Filme als einen Weg, die Welt zu einem verständnisvolleren Ort zu machen. Er wünsche sich, dass die Europas Filmemacher stärker darauf achten, ihr Publikum zu unterhalten.
Dass es sich dabei keineswegs um leichte Stoffe handeln muss, bewiesen die Braunschweiger mit dem Gewinner des Publikumswettbewerbs. Der niederländische Regisseur Joost van Ginkel gewann den mit 10.000 Euro dotierten Preis „Der Heinrich“ mit seinem Drama „The Paradise Suite“.
Erstmals vergab eine internationale Jury den „Schwarzen Löwen“ mit einem Preisgeld von 2.500 Euro für den besten Film der „Beyond“-Reihe. Die Reihe ist einem aufregenden neuen Kino gewidmet, das visuell oder thematisch Risiken eingeht. Regisseurin Lika Alekseeva, Produzentin Andrea Stärke und Regisseur Huan Vu krönten die iranische Produktion „Lantouri“ von Regisseur Reza Dormishian. Alle drei Preise fördert der Festival-Hauptsponsor Volkswagen Financial Services.
Der junge französische Regisseur Morgan Simon freute sich über den deutsch-französischen Jugendpreis KINEMA für sein Vater-Sohn-Drama „A Taste of Ink“. Stargast der Reihe „Musik und Film“ war der schottische Komponist Patrick Doyle. Ihn zeichnete das Festival mit dem „Weißen Löwen“, dem ebenfalls neuen Lebenswerkpreis für einen Filmkomponisten aus. Doyle präsentierte seinen Score zum charmanten Liebesdrama „It - Das gewisse Etwas“ aus dem Jahr 1927 in deutscher Erstaufführung.
Zum ersten Mal bot das Festival an jeden Abend ein Filmmusikkonzert. Den Auftakt machte das Eröffnungskonzert „Henry V“ von Laurence Olivier mit dem Staatsorchester Braunschweig. Weniger klassisch als vielmehr experimentell präsentierte das 1. Deutsche Stromorchester den britischen Dokumentar-Stummfilm „Drifters“ von 1929 mit Ice-Crusher neben Sythesizer. Mit komplett elektronischer Musik zeigte das Duo Colorist G.W. Pabsts „Büchse der Pandora“ in der Bartholomäuskirche, wo auch die britischen Dark Waver „In the Nusery“ vor ausverkauftem Haus „The Fall of House of Usher“ von Jean Epstein aus dem Jahr 1928 präsentierten.
Mehr Musik aus Great Britain zeigte die Reihe „Sound on Screen“, die sich z.B. mit den deutschen Premieren von „The Stone Roses“ von Shane Meadows und „The Beat is the Law“ von Eve Wood insbesondere den Stone Roses widmete.
Halb so alt wie das Festival selbst ist der filmkulturelle Austausch mit der Normandie. Für die niedersächsische Partnerregion stellte Schauspielerin Manal Issa „Parisenne“ von Danielle Arbid vor. Ein Schwerpunkt war dem polnische Kino gewidmet. Mit Filmen wie dem Oscar-Preisträger „Ida“ und „Miasto 44“, begleitet von Hauptdarsteller Józef Pawlowski, blickte die Reihe „Unsentimental encounters“ auf das Kinowunder der letzten Jahre zurück.
Begleitend zur Ausstellung „This was tomorrow - Pop Art in Great Britain“ zeigte das Festival in Kooperation mit dem Kunstmuseum Wolfburg Perlen wie den Beatles-Film „A Hard Day’s Night“ und Antonionis „Blow-up“. Gemeinsam mit dem Staatstheater veranstaltete das Festival die Tagung „Feindliche Schwestern – zum Verhältnis von Theater und Film mit Gästen wie Angela Schanelec und Falk Richter. Dem größten Bühnenautor aller Zeiten huldigte die von Olaf Müller kuratierte Reihe „Shakespeare Remmi-Demmi!!!“ mit Genre-Filmen nach Shakespeare Motiven. Die Sektion „Green Horizons“ versammelte sechs Langfilme und ein Kurzfilmprogramm zum Thema Nachhaltigkeit.
Zum Schaufenster für das Filmschaffen der Region entwickelt sich die „Heimspiel“-Sektion. Unbestrittener Publikumsmagnet waren die „Sanddorn-Krimis“ von Jonas Jarecki. Den erstmals ausgelobten Preis „Die Goldenen Vier Linden vergab die Jury mit Bloggerin Steffi Krause, Cinestrange-Leiter Marc Fehse und Sommerkino-Organisator Leon Kluth jedoch an „Dexit“ von Lars Jordan.
Eine weitere „Lebenswerk“-Auszeichnung ging an Karl Maier. Für seine langjährigen Verdienste um die niedersächsische Filmkultur verlieh ihm das Festival die Ehrenmitgliedschaft. Mit der Reihe „30 Jahre Film & Medienbüro“ schickte Maier, unterstützt von zahlreichen Gästen wie Hans-Erich Viet und Franziska Stünkel, das Publikum auf eine filmische Zeitreise.
Die Hauptreihen „Neues Internationales Kino“ und „Neues deutsche Filme“ so viele internationale Gäste und deutsche Premieren wie selten. So zeigte die peruanische Regisseurin Klaudia Reynicke ihr Familiendrama „Il Nido“, der litauische Regisseur Ignas Miškinis den Kriegsverbrecher-Thriller „King’s Shift“ und Schauspielerin Elina Vaska das lettische Drama um eine auf sich gestellte 17-jährige „Mellow Mud“.
Die Reihe „Neue deutsche Filme“ eröffnete Regisseurin Luise Brinkmann mit „Beat Beat Heart“. Als deutsche Premiere stellte Oswoldo Diaz Medina sein interkulturelles Generationenporträt „Youkali“ vor. Chris Kraus, Heinrich-Gewinner 2006 mit „Vier Minuten“, kam wieder nach Braunschweig , dieses Mal mit seiner neuen Holocaust-Komödie „Die Blumen von gestern“. Insgesamt zeigte das Festival 344 Filme – 134 Lang- und 210 Kurzfilme aus über 50 Ländern darunter 48 Deutschlandpremieren.
Festivalleiter Michael P. Aust zog ein durchweg positives Fazit: „Mein Gänsehaut-Erlebnis war Brendan Gleeson: Unser Europa-Preisträger hat die Besucher berührt und uns tief in sein Inneres sehen lassen. Auch sonst ein rundum gelungenes Jubiläum: Begeistertes Publikum, tolle Gäste, kluge Filme - ohne einen einzigen US-Film in den Hauptreihen und weniger als 10% im Rest des Festivals - leicht gestiegene Besucherzahlen. Die Arbeit der letzten drei Jahre und die Unterstützung so vieler Partner aus der Region trägt Früchte. Ein besonderer Dank geht an den Hauptsponsor Volkswagen Financial Services, der als Geschenk zur Preisverleihung eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre mitgebracht hat.“