Die Festivalwoche neigt sich dem Ende zu. Am gestrigen Abend wurden die Preisträger:innen des diesjährigen 36. BIFF mit insgesamt zehn Filmpreisen ausgezeichnet. Der Abend fand in festlicher Atmosphäre des Großen Hauses des Staatstheaters Braunschweig statt. Bereits seit Anfang der Woche lud das renommierte Festival in die Spielstätten der Löwenstadt ein – darunter in das ASTOR Filmtheater, ins Universum Filmtheater, in den Roten Saal, in das LOT-Theater, in die St. Michaeliskirche und nun zuletzt auch wieder ins Staatstheater Braunschweig ein. Nachdem in diesem Jahr das Festival mit einem symphonischen Klassiker im ASTOR eröffnet wurde, fand es nun seinen Abschluss auf der großen Bühne: Bei der Preisverleihung wurden insgesamt zehn Preise an regionale, nationale und auch internationale Filmemacher:innen und Schauspieler:innen verliehen.
Zwischen Trommelwirbel und Siegerlächeln
Passend zur diesjährigen EUROPA-Preisträgerin lag auch die Moderation in weiblicher Hand – Sängerin, Autorin und Entertainerin Annie Heger führte das geladene Publikum durch das Abendprogramm und eröffnete den Abend mit einer gesanglichen Showeinlage. Die erste Ehrung auf der Bühne war eine Premiere, denn zum ersten Mal wurde der neue Kurzfilmpreis des BIFF „Die EDDA“ vergeben. Die mit 2.000 Euro dotierte Auszeichnung ging an Regisseurin Thi Dang An Tran für ihren Animationsfilm XANH (Deutschland 2022). In diesem reisen Tochter und Vater in dessen Erinnerung als einer der vietnamesischen Boatpeople zurück und führen dabei ein Gespräch über Gewalt, Lebensbejahung und Identität.
Eine weitere Premiere stellt die Verleihung des Filmpreises „ECHT“ dar: Die mit 2.500 Euro dotierte Auszeichnung soll auch in Zukunft an den besten Langfilm mit einer queeren Thematik gehen. Den Anfang macht SO DAMN EASY GOING (Schweden, Norwegen 2022) von Christoffer Sandler. Dieser konnte leider nicht persönlich zur Preisverleihung erscheinen, bedankte sich aber per Videobotschaft für die Auszeichnung der Jury. Stellvertretend nahm der Pressesprecher des deutschen Filmverleihs Salzgeber, Dr. Christian Weber, die Preisstatue entgegen.
Darauf folgte die Verleihung des „Heimspiel Preises“, der Auszeichnung für den besten Film mit regionalem Bezug. Die Jury entschied sich für THE ORDINARIES (Deutschland 2022) von Sophie Linnenbaum, der zu großen Teilen in Hannover gedreht wurde und in dem die Hannoveraner Schauspielerin Denise M’Baye die Jury überzeugt: "Denise M´Baye spielt, singt, tanzt und begeistert das Publikum mit all ihren Talenten in einem Film. THE ORDINARIES ist ein außerordentlicher Film, der zum Teil in Hannover gedreht wurde. Die Szenograf:innen Josefine Lindner und Max-Josef Schönborn und ihr Team aus der Region gestalteten aus Locations in Hannover ausdrucksstarke Motive. Einige Nebenrollen konnten mit Darsteller:innen aus der Region besetzt werden, außerdem stellen die hier verortete Crew, die Kompars:innen und die lokalen Motivgeber:innen weitere Bezüge zu Hannover und Umgebung her."
Eine lobende Erwähnung ging an FISCH IM FELL, der in den letzten Wochen viel Aufsehen in der Region erregt hat. Das Jugendfilmprojekt wurde von Pfarrer Martin Widiger und Diakon Michael Marintschak in Zusammenarbeit mit zahlreichen Jugendlichen der Propsteijugend Bad Harzburg ins Leben gerufen. „Die Jugendlichen haben ein sympathisches Filmprojekt gestartet. Es ist ihnen gelungen, eine ganze Region einzubinden – von der Feuerwehr bis zum Profi-Kameramann. Dieser Einsatz hat uns beeindruckt!“
Einigkeit herrschte auch bei der KINEMA-Jury, die aus sechs Jugendlichen aus der Normandie (Frankreich) und Niedersachsen besteht. Denn auch sie entschieden sich gemeinsam für die Tragikomödie THE ORDINARIES. In einer fabelhaften Welt, streng unterteilt in Haupt-, Nebenfiguren und Outtakes, steht die Filmrolle Paula vor der wichtigsten Prüfung ihres Lebens: Sie muss beweisen, dass sie das Zeug zur Hauptfigur hat und schon bald beginnt sie zu zweifeln – an sich, an ihrem Platz in der Geschichte und an denen, die diese erzählen. Die junge Jury begründete ihre Wahl: „Die Handlung lässt uns in eine neue Welt voller Kreativität und Humor eintauchen, die uns von Anfang bis Ende fesselt. Die Tatsache, dass Paula im selben Alter ist wie wir, macht es uns leicht, eine Bindung zu ihr aufzubauen. Die Musik, die während des gesamten Films die Emotionen der Figuren und unsere eigenen beeinflusst, harmoniert mit der fließenden Kameraführung.“
In Zeiten der Energiekrise sind Themen rund um Umwelt und Nachhaltigkeit aktueller denn je und bekommen durch den „Green Horizons Award“ des BIFF wichtige Sichtbarkeit und Raum für diesen so wichtigen Diskurs. Die diesjährige Auszeichnung geht an DUTY OF CARE – THE CLIMATE TRIALS (Belgien 2022) von Nic Balthazar. Die Jury begründete ihre Wahl: „Wir haben uns für einen Dokumentarfilm entschieden, in dem das Handeln einzelner Personen handfeste und weitreichende Resultate zeigt. Denn wir können nicht mehr auf Versprechungen warten, sondern brauchen Taten, die zu wirkungsvollen Veränderungen führen.“
Eine lobende Erwähnung ging zudem an JUST ANIMALS von Vesa Kuosmanen & Saila Kivelä – „für einen berührenden, manchmal schonungslosen, immer eigensinnigen Dokumentarfilm, der zwei Schwestern in ihrem Kampf gegen Massentierhaltung zeigt und die grundlegende Frage verhandelt, wie ökologische Ziele mit parlamentarischer Politik, aber auch mit Aktivismus und zivilem Ungehorsam durchgesetzt werden können.“
Eine alljährliche Herzensangelegenheit ist für das BIFF auch die Verleihung des mit 5.000 Euro dotierten „Braunschweiger Filmpreis“, der an den/die beste:n deutschsprachige:n Nachwuchsschauspieler:in überreicht wird. In diesem Jahr geht er an Pablo Caprez: „SOUL OF A BEAST zieht uns mit seinem Setting, der wilden, apokalyptischen Abseite von Zürich und mit seinen wundervollen Schauspielern, allen voran Pablo Caprez ganz und gar in den Bann“, lässt die Jury verlauten. „Pablo Caprez lässt uns in jedem Moment tief in seine Seele schauen, gibt sich ganz und gar der Rolle hin. Wir sehen hier: Sturm und Drang, Liebe und Zärtlichkeit, Sucht, Verzweiflung und Freude! Alles dürfen wir hautnah miterleben! Dieser rebellische Gabriel ist eine Wucht und muss ausgezeichnet werden!“
Nicht nur Preise wie der „Green Horizons Award“ sollen relevante Diskurse ins Scheinwerferlicht rücken – auch „Die TILDA soll ein wichtiges Zeichen in der Filmbranche – und natürlich auch darüber hinaus – setzen. Der mit 5.000 Euro dotierte Frauenfilmpreis wird von 75 Frauen aus der Braunschweiger Stadtgesellschaft gestiftet: allein das ist ein wichtiges Zeichen. Jurorin Sophie Brakemeier skizziert: „Die diesjährige TILDA geht an einen Film, der einen beispiellosen Spagat zwischen einer höchst persönlichen Erzählung und der Auseinandersetzung mit einer kontroversen, aber sehr relevanten gesellschaftlichen Fragestellung schafft. Gleichzeitig erlaubt sie dem Film eine lebensnahe Prise von Humor und authentischer Leichtigkeit. Ein hervorragendes Ensemble, das die Regisseurin mit beeindruckender Schauspielführung anleitet, trägt diese Balance ebenso wie handwerklich einwandfreies und kunstvolles Kameraspiel und Sounddesign. Wir beglückwünschen Floor van der Meulen zur diesjährigen TILDA für ihren Film PINK MOON.“
Mit 10.000 Euro ist der Publikumspreis „Der Heinrich“ dotiert, er ist bereits seit dem Jahr 1999 fester Bestandteil des Braunschweig International Film Festival. Dr. Alexandra Baum-Ceisig, Vorständin für Personal und Organisation bei Hauptsponsor Volkswagen Financial Services, durfte das Geheimnis des Gewinnerfilms lüften. Über die gesamte Festivalwoche konnte das Publikum abstimmen, welcher der Wettbewerbsfilme in diesem Jahr den begehrten Publikumspreis verliehen bekommt – die Wahl fiel auf THE FAMILY (Frankreich 2021) von Fabien Gorgeart. Zur Feier wird der Gewinnerfilm traditionell am Festivalsonntag erneut im Kino gezeigt.
Den „Volkswagen Financial Services Preis“ und somit auch das damit verbundene Preisgeld von 10.000 Euro ging in diesem Jahr an die Regisseure David Kapac & Andrija Mardešić. Ihr Film THE UNCLE konnte die Jury überzeugen: “The actors are great, the setting and especially the camera with the surreal anamorphic look – everything fits perfectly together. Although having a certain distance to the characters at the beginning, the viewer can feel the pain of the family that goes through hell, because all the puzzle pieces of the complex plot are well told”, ließ diese verlauten.
Traditionell wird es auch beim höchstdotierten Preis des Festivals, denn bereits seit 15 Jahren wird der Schauspielpreis „Die Europa“ für langjährige herausragende darstellerische Leistungen und Verdienste um die europäische Filmkultur verliehen.. Bereits im Vorfeld war bekannt, dass dieser an die renommierte Schauspielerin Senta Berger verliehen wird. Die Laudatio hielt Stella Maria Adorf – wie der Name schon verrät Tochter von Starschauspieler Mario Adorf und Nichte von Senta Berger. Dementsprechend richtete Adorf besonders emotionale Worte an den Ehrengast: „Es fällt mir ja wirklich leicht, hier über Dich, zu Dir zu sprechen, denn ich bin ja Deine „kleine Nichte“. Wie viele Wochenenden und herrliche endlose Sommertage habe ich bei Dir und Michael verbracht. […] Das waren meine 'wunderbaren Jahre'. Manchmal warst Du gar nicht da, 'die Senta dreht in America', 'Die Senta ist noch in Wien, in Sorrent, in Rom, sie dreht mit dem Mario, deinem Papa!'." Voller Rührung nahm Berger ihren Preis entgegen, kurzzeitig sprachlos bedankte Sie sich anschließend auch beim Publikum für den herzlichen Empfang. Das Preisgeld von 25.000 Euro wird vom Hauptsponsor Volkswagen Financial Services gestiftet.